Versorgerin: Euer Projekt begann 2021 mit dem ersten Passagierflug von Jeff Bezos‘ Weltraumtourismus-Rakete New Shepard. Ihr thematisiert Weltraum-Milliardäre als Figuren, die unmoralische Reichtümer anhäufen, faschistische Ideologien aus Science-Fiction-Romanen übernehmen und eine Spur von Tod und Zerstörung hinterlassen. Ihr sprecht konkret auch von einem »New Space« und einem »The billionaire colonialist/ecocidal industrial complex«. Könnt ihr das etwas anskizzieren, bzw. auch, was hinter euren Theoriebezügen steht? Ich zitiere zwei von euch refrenzierte Titel: »The Settler Logics of (Outer) Space« von Deondre Smiles oder »Astrotopia: The Dangerous Religion of the Corporate Space Race« von Mary-Jane Rubenstein.
David Benqué & Lucile Olympe Haute: Die »New Space«-Industrie bezieht sich auf den kapitalistischen Boom, der durch das unter Obama verabschiedete Gesetz zur Wettbewerbsfähigkeit kommerzieller Weltraumstarts von 2015 ausgelöst wurde. Dieses Gesetz gab US-Bürgern und -Unternehmen im Grunde genommen freie Hand bei der »Erforschung« des Weltraums zu kommerziellen Zwecken. Von Trägerraketen bis hin zum Asteroidenbergbau wurde alles für kommerzielle Interessen freigegeben, während staatliche Investitionen zurückgefahren wurden.

»Bind Billionaires who fly to the upper sky from coming back to earth«: bindloareswhfytupkmcg. (Foto: MFRU31)
Die Werke von Smiles und Rubenstein stellen den US-Weltraumwettlauf als Fortsetzung kolonialer Geschichten und Muster dar, die von religiöser Ideologie untermauert sind. Eines der offensichtlichsten Beispiele dafür ist »Manifest Destiny«, die Idee, dass die westliche koloniale Expansion in den USA dem Willen Gottes entsprach und Landraub und Völkermord rechtfertigte. Trump hat diesen Begriff einige Male verwendet, insbesondere erneut in seiner Antrittsrede 2025, als er über die Kolonisierung des Mars sprach.
Ein weiterer wichtiger Denker in dieser Geschichte ist Gerard K. O‘Neill, der für die Vision der Raumfahrt in den 1970er Jahren verantwortlich war. Als die amerikanische Grenze schließlich keinen Platz mehr für eine weitere Expansion nach Westen bot, richtete O‘Neill seinen Blick nach oben, zu den Sternen. Zu seinen Werken gehören das 1976 erschienene Buch »The High Frontier: Human Colonies in Space« sowie berühmte Illustrationen von bewohnbaren Raumstationen, die amerikanische Vorstadtlandschaften nachbilden. Jeff Bezos studierte bei O‘Neill in Princeton, wodurch seine Mischung aus Physik und Kolonialvision zu einem sehr einflussreichen Bestandteil der heutigen Vorstellung von Weltraum-Milliardären wurde.
Versorgerin: Ihr knüpft mit »Sigil Séance Against Space Billionaires« auch an einen Text von Paris Marx an: »Leave the Billionaires in Space«. Die Message ist klar: Das Böse soll verbannt werden, um die guten Kräfte zu mobilisieren. Ihr habt dann, was das Projekt betrifft, eine Abfolge von Ritualen und Prozederes zwischen Okkultismus und Technologie entwickelt, die mit Bestandteilen von konspirativen Treffen, Sprüchen, Flüchen, Sigillen und im Endeffekt mit einer Kunstinstallation arbeitet – es geht, ich zitiere, um »eine Teleperformance, die auf chaos magick und Sigillen basiert, zwei modernen Traditionen der Magie, die sich (…) auf die Erzeugung von Effekten auszeichnen«. In Maribor hat im Ausstellungsraum einer Kirche ein Laser ununterbrochen verschiedene Sigillen von magischen Sprüchen wie eben zum Beispiel »Bind Billionaires who fly to the upper sky from coming back to earth« gezeichnet oder auch »Defund Starlink«. Das Projekt war also ununterbrochen am herumgeistern und beschwören. Wie spielen Magie und Technik hier zusammen? Wo seht ihr euch zwischen Kunst oder auch den »Esoteric Ecotechnics« im Titel des Festivals MFRU31?
David Benqué & Lucile Olympe Haute: Wir waren begeistert von der Möglichkeit, das Projekt zu einem Ausstellungsstück weiterzuentwickeln. In Maribor haben wir zum ersten Mal einen Laser eingesetzt und dafür sind wir den MFRU-Kuratoren Lara Mejač und Davide Bevilacqua zu Dank verpflichtet. Der Laser im Ausstellungsraum zeichnete kontinuierlich eine Auswahl von Sigillen aus vergangenen Séancen. Es ist wichtig zu beachten, dass wir diese nicht als eigenständig wirksam betrachten, sie waren dort eher leere Geschosse bzw. ein Modell für Ausstellungszwecke. Das eigentliche Ritual muss so ablaufen, dass die Menschen zunächst gemeinsam die Sigille schreiben und sie dann durch den Startvorgang aufladen, damit sie Wirkung zeigen. Das gesamte Ritual ist darauf ausgerichtet, eine kollektive Absicht auf den Ausdruck und die Manifestation eines Ziels zu lenken, daher müssen Menschen daran beteiligt sein. Wir könnten nur mit einem Stock in den Sand zeichnen und eine Sigil-Séance abhalten, während selbst der ausgefallenste Laser der Welt ohne Menschen nichts manifestieren kann. Die von uns verwendete Technologie ist recht einfach: eine Webseite und eine JavaScript-Bibliothek namens Yjs, die normalerweise für die gemeinsame Bearbeitung von Texten verwendet wird. Unsere Seite erfüllt im Wesentlichen zwei Aufgaben: Sie macht die miteinander verbundenen Menschen für einander sichtbar und aktualisiert das Zeichen in Echtzeit für alle. Es handelt sich um einen einfachen, speziell angefertigten Online-Treffpunkt, um dieses besondere Teleperformance-Ritual zu veranstalten.
Versorgerin: Dass sich eure Arbeit nicht eskapistisch versteht, sondern im Gegenteil sehr politisch, ist offensichtlich. Ich gehe damit zu Formen des Protests, die sich sozusagen durch gemeinsame Rituale, Sigils, Ciphers und Scripts speisen. Was gibt es dazu historisch zu sagen? Kritischerweise könnte man hier auch von einer Vormoderne sprechen – oder einer »Macht der Machtlosen«. Wie wird Magie und ein gewisser Surrealismus zu Selbstermächtigung und Protest? Und kann man hier auch von einer feministischeren Ausformung von Protest sprechen?
David Benqué: Ja, wenn überhaupt, dann versuchen wir, der Ideologie der Weltraum-Milliardäre entgegenzuwirken, die auf einer Politik der verbrannten Erde basiert. Die Vorstellung, dass die Menschheit auf dem Mars überleben, geschweige denn gedeihen könnte, ist ein unglaublicher Irrglaube, der einfach nicht funktionieren wird, aber dabei derzeit auf der Erde echten materiellen Schaden anrichtet. Unser Ritual ist in erster Linie ein Schutzritual, ursprünglich eine Art Bindung, die die Milliardäre daran hindern sollte, auf die Erde zurückzukehren. Wie man sehen kann, hat jedes Zeichen seine eigene Wirkung, sodass die Einzelheiten variieren können. Es ist interessant, dass in der Frage die »Macht der Machtlosen« erwähnt wird, da dies auch der Titel des Dark Mountain-Artikels1 ist, in dem wir etwas über Jusatsu Kito Sodan (‘Killing Curse Prayer Monk Group’) erfahren haben, eine Gruppe von Mönchen, die in den 1970er Jahren in Japan Rituale durchführten, um die Besitzer von Fabriken zu verfluchen, die für die Umweltverschmutzung verantwortlich waren. Dies war eine große Inspiration für das Projekt und unterstreicht auch einige der ethischen Diskussionen, die wir geführt haben: Ist es richtig, jemandem Schaden oder sogar den Tod zu wünschen, unabhängig von dessen negativen Auswirkungen auf die Welt? Wenn man bereit ist, Magie einzusetzen und sie ernst zu nehmen, könnten sich die Auswirkungen tatsächlich manifestieren, und es könnten auch schlimmere Konsequenzen auf einen selbst zukommen. Für die buddhistischen Mönche ist dies nicht unbedingt zu rechtfertigen, aber Jusatsu Kito Sodan kam zu dem Schluss, dass die Gefahr für den Planeten groß genug war, um den Fluch auf industrielle Umweltverschmutzer zu rechtfertigen. Meiner Meinung nach wurde die Toxizität von Persönlichkeiten wie Elon Musk oder Jeff Bezos mehr als genug nachgewiesen, um dasselbe zu rechtfertigen, und seit wir das Projekt 2021 gestartet haben, hat sich dies nur bestätigt.
Lucile Olympe Haute: Aus feministischer Sicht haben Protest und Online-Aktivismus ihre Wurzeln in der bereits bestehenden Bewegung des Cyberfeminismus, die unter anderem darauf abzielt, nicht-dominante Technologien zurückzugewinnen. Sie wird etwa von Künstler:innen und Theoretiker:innen wie Cornelia Sollfrank und dem Kollektiv Constant in Brüssel verkörpert und theoretisiert, um nur einige zu nennen. Wähle, nutze und entwickle Werkzeuge, um menschliche Organisationen zu formen, um Werkzeuge zu formen, um menschliche Organisationen zu formen.
Versorgerin: Hinter dem Projekt steht das sigil-séance.diagram.institute. Was macht das Institut? Was sind die nächsten Vorhaben? Und: Was sind eure nächsten Vorhaben als Künstler:innen und Autor:innen?
David Benqué: Das Institut absorbiert jeden, mit dem es in Kontakt kommt, in seine organisatorische Struktur. Lucile ist jetzt die Hohepriesterin für Chaosmagie und wenn man nicht aufpasst, erhält man auch einen Titel und wird in das Organigramm aufgenommen. Im Ernst: Das Institut ist das Forschungsschiff, das ich nach Abschluss meiner Promotion im Jahr 2020 gegründet habe, um die Arbeit fortzusetzen und den Wirkungsbereich zu erweitern. In meiner Doktorarbeit ging es darum, Diagramme als Sprache zu verwenden, um sich kritisch mit algorithmischen Vorhersagen auseinanderzusetzen. Seitdem habe ich diese Praxis erweitert, indem ich die Sprache der Diagramme einsetze, um bestehende Systeme (algorithmische, technische, politische) zu lesen und neue in Form von Publikationen, Software, Visualisierungen usw. zu schreiben. Weitere Projekte und Neuigkeiten sind unter https://diagram.institute zu finden. Derzeit denke ich darüber nach, wie ich eine kollaborative Mapping-Umgebung einrichten kann, um unterdrückerische Systeme gemeinsam zu zeichnen. Ich träume davon, Diagramstagram einzurichten, eine reine Diagramm-Social-Media-Plattform im Fediverse, und ich denke viel über die Ludditen nach und darüber, wie man diese Vorstellung in einem von
KI angegriffenen Kunst- und Designkontext mobilisieren kann. Sigil Séance planen wir, einerseits als bestehendes Format zu wiederholen, während wir immer mehr Ausgaben des Rituals veranstalten.
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Das Interview hat Tanja Brandmayr für die Versorgerin geführt.
Davide Benqué ist Künstler, Designer und Forscher aus Paris, Frankreich, der derzeit in Cork, Irland, lebt und arbeitet. Seit seiner Promotion am Royal College of Art in London, Großbritannien (2020), ist er als Institute of Diagram Studies tätig. https://diagram.institute
Lucile Olympe Haute ist Künstlerin, Dozentin für Design an der Universität Nîmes (FR) und assoziierte Forscherin an der École des
arts décoratifs in Paris (FR). lucilehaute.fr
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Die Sigil-Séance-Anwendung wurde an verschiedenen Orten vorgestellt und ausgestellt, darunter die Radical Futures Conference 2024 am University College Cork, das Seminar Mardi de la Générale 2024 in Paris, in der von Arianna Forte kuratierten Ausstellung »Casting a Spell in Computational Regimes« 2024 im SomoS Arts in Berlin und dem Internationalen Festival für Computerkunst »Esoteric Ecotechnics« 2025 in Maribor.
Die Sigil-Séance-Anwendung steht nun auch zum Testen zur Verfügung. Sie können Ihr Feedback per E-Mail senden oder Ihr Interesse an zukünftigen Séance-Sitzungen unter der folgenden Adresse anmelden: sigil-seance@diagram.institute.
MFRU31 fand in Maribor statt, von 26.09.-05.10.2025
Ein Text von David Benqué & Lucile Olympe Haute über »Sigil Séance Against Space Billionares« ist hier nachzulesen: https://asapjournal.com/cluster/algorithms-and-the-occult/sigil-seance.diagram.institute