Designed to become unreadable

Ein Gespräch mit Davide Bevilacqua zu den aktuellen Vorhaben von servus.at zwischen d*sign-week und #AMRO26.

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Versorgerin: Bei Erscheinen dieser Ausgabe ist die diesjährige »d*sign week« schon seit fast einer Woche vorbei; was kannst du uns über das Festival, bzw. dessen Programm (das sich passenderweise auf einem d*sign-wiki findet) sagen?

Davide Bevilacqua: Diese Ausgabe der d*sign week wurde rund um die Frage »For who(m) is the making?« strukturiert, was gleichzeitig als für wen wird gestaltet, aber auch im Sinne von wem ist es möglich oder erlaubt, zu gestalten, verstanden werden kann. Heuer ist nämlich Ende Juni der European Accessibility Act (EAA) im Kraft getreten und obwohl es für die meisten nicht-kommerziellen Kunst- und Kulturproduzent*innen rund um servus keine gesetzliche Verpflichtung zum Accessible Web Development gibt, fanden wir eine Diskussion über Zugang, Barrierefreiheit und Inklusion sehr wichtig.

 

(Foto: Lina Pulido Barragan)

 

Zusammen mit den Kooperationspartnern Potato Publishing und der Abteilung Viskom der Kunstuni Linz entwickelt, hat das Programm der d*sign week diverse Workshops über barrierefreie Webentwicklung und multimodale Kommunikationsmethoden angeboten, wie alternative Texte für Bilder, haptische Schnittstellen für die Wahrnehmung virtueller Environments und kollektive Audiobeschreibungen für Bilder. Das italienische Künstler*innenkollektiv »Oltre i Limiti / Beyond Limits« trug viele Projekte bei und darüber hinaus waren auch die Themen alternative und selbstentwickelte Software und Infrastrukturen sowie kollaborative Methoden für Gestaltung und Publishing präsent. Diese wurden unter anderem in den Projekten der Design-Kollektive Open Source Publishing (https://osp.kitchen/), Draw it with Others (https://draw-it-with-others.org/) und Creative Crowds (https://cc.practices.tools/wiki/Main_Page) vertieft, die etwa hybride Online- und Printformen des Publishing entwickeln und Tools wie wiki2print oder die Stiftplotter-Bibliothek cobbled-path im Rahmen der d*sign week präsentierten. Potato Publishing kuratierte außerdem eine Zine-Ausstellung über Printmedien mit Fokus auf Inklusion.

Begleitend zum Programm gab es mehrere Talks, die thematisch rote Fäden durch das Programm zogen: die Spannung zwischen festgelegten Standards, bzw. Guidelines und der stetig fortschreitenden experimentellen Gestaltungspraxis; wie die Nutzung digitaler Technologien einerseits Zugang ermöglichen, zugleich aber auch neue Barrieren und Exklusion erzeugen kann. Viele Vorträge beleuchten auch gängige Missverständnisse über Inklusion und Partizipation, Repräsentation und Teilhabe. Ein wichtiger Punkt ist auch der Austausch über methodische Aufmerksamkeit darauf, wofür gestaltet wird, und wie dies diverse Gestaltungsprozesse unterstützen und leiten kann.

Letztlich noch zum Wiki: Das d*sign wiki wurde von Anfang an als Kern der Kollaboration gesehen, insbesondere für das Editorial-Projekt »Inter*Printer«. Das war ein kollektives Dokumentationsverfahren und Projekt zu Wissensaneignung und Austausch zwischen Potato Publishing, servus, Marianne Lechner und einer Gruppe von Viskom Studierenden, aber auch allen Teilnehmenden der d*sign week. Jeden Tag wurde ein Editorial vom Vortag produziert, in der von der Gruppe Eckpunkte des Programms und Ausschnitte des Inhaltes mittels neuer (Open-Source-) Software gestaltet und gedruckt wurde, um die Zirkulation von Ideen, Projekten und bedeutsamen Punkten innerhalb der Festival-Community zu fördern. Jetzt, nach Ende der d*sign week wird dann das ganze Wiki nochmal überarbeitet und in eine d*sign-week-wiki2print-Publikation umgewandelt.

Versorgerin: Kommendes Jahr wird außerdem eine weitere größere Sache stattfinden, die seit fast 20 Jahren untrennbar mit servus.at verbunden ist – und zwar das biennale »Art Meets Radical Openness« (AMRO). Der Call ist bereits fertig – in welche Richtung wird es programmatisch gehen?

Davide Bevilacqua: Ja, genau – sofern die Förderung es zulässt, wird #AMRO26 vom 13.–16. Mai stattfinden! Art Meets Radical Openness wird von servus.at organisiert und ist ein viertägiges Festival, das sich durch künstlerische Forschung und kritische Medienkunstpraktiken mit aktuellen Themen zu digitalen Technologien und aktuellen geopolitischen Ereignissen auseinandersetzt. Wir arbeiten gerade unter dem Arbeitstitel / Motto: »Becoming unreadable«, was als Ablehnung der toxischen Dimensionen von Hypervisibilität unserer Zeit gemeint ist und von Social Media bis KI reicht. Darunter verstehen wir aktuelle Entwicklungen der Aufmerksamkeitsökonomie, den Drang zu digitaler Selbstdarstellung und die permanente Onlinepräsenz als Normalität. Diese Vernetzung ist nicht nur das Fundament für Mainstream-Digitalkulturen; es ist ein Hilfswerkzeug für die allgegenwärtige Überwachung und die extraktive Aneignung von Werken und Daten durch Big-Tech. Die aktuelle Ausgabe von AMRO hinterfragt und kritisiert die digitalen Bedingungen, unter denen wir leben und arbeiten, noch stärker als bisher und widerspricht dem Allgemeinver-ständnis von KI, Netzwerken und Computern. Fürs Programm erforschen wir gerade alternative Ansätze, die im Vergleich zum Mainstream exzentrisch erscheinen mögen, aber der Keim für echte Umbrüche sein könnten. »Becoming Unreadable« bedeutet, sich der Überwachung durch Tech-Konzerne zu entziehen und unter dem Radar zu agieren. Erst dadurch können nicht-gewinnorientierte, digitale Kulturen und Community-Infrastrukturen im Bereich Medienkunst vorstellbar werden.

Das Motto ist definitiv von der internationalen Kooperation »Esoteric Ecotechnics. Irrational Computation and Conspiratorial Networking« (31. MFRU/International Festival for Computer Arts, Maribor, Slowenien) inspiriert, entspringt aber auch dem Austausch mit der AMRO- & servus »core«-Community, so wie der Stadtwerkstatt.

Durch künstlerische Forschung und Theorie wird das Festival aktuelle Konzepte des Decomputing (Dan MacQuillan) untersuchen, um der algorithmischen Vereinfachung des Lebens entgegenzusteuern. Daraus entsteht die Idee der »Ent-Netzung«, um eine Gesellschaft zu denken, die eher auf Nähe, Ähnlichkeiten und Empathie basiert als auf synkopischen Verbindungen oder der Suche nach Viralität. Diese und andere Konzepte werden verwendet, um den Effekten der gewinnorientierten Digitaltechnik entgegenzuwirken. Mehr dazu in den kommenden Wochen und auf https://radical-openness.org/

Versorgerin: Zusätzlich zu den Festivals und der kontinuierlichen Arbeit als cultural data center hat servus.at noch diverse weitere Reihen, Veranstaltungen etc. im Programm – was fermentiert da in den kommenden Monaten?

Davide Bevilacqua: Neben Research Labs und Infrastruktur gibt es gerade zwei Projekte, an denen wir kontinuierlich arbeiten: die Kooperation mit dem Theater Phönix zu kritischer Digitalisierung für Kunst und Kultur und die Community-Wissensaustausch-Serie »Sourdough«.

Als Netzwerkinitiative verfolgt servus mit Interesse und kritischer Haltung die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich Automatisierung, LLMs, generative KIs und alles rund um den KI-Hype. In Kooperation mit dem Theater Phönix machen wir eine Serie von Experimenten und Analysen zu KI-Systemen und allgemein über den Digitalisierungszwang in Kunst und Kultur. Nach mehreren Konversationen mit Olivia Schütz, der Geschäfts-führerin des Phönix und einigen Annäherungsworkshops mit dem Team vom Theater, wurde eine vertiefende Reihe gestartet, um konkrete Anwendungsbereiche von KI-gestützten Methoden auszuprobieren und zu evaluieren. Während des Prozesses wurde der Begriff »KI« in seine Komponenten (Automatisierung durch Software, Data Analyse, Datenban-ken, LLMs) entpackt und in internen Workshops erforscht. Ziel dabei ist, Tools und Praktiken zu bewerten und durch öffentliche Konversationen den sonst positivistischen, affirmativen Diskurs über KI und Kunst durch fundierte und ehrliche Beobachtungen zu ergänzen. 2025 wurden vier Arbeits-Sessions und zwei Talks organisiert, 2026 geht es darum, das Projekt weiter zu entwickeln und die Resultate zu veröffentlichen.

 

(Bild: servus.at)

 

Sourdough ist ein Wissensaustauschprozess zwischen unseren Mitgliedern, die einmal pro Monat ihre Praxis präsentieren und ihre Expertise anderen in der Community vermitteln. Das Projekt folgt in der Intention der Next Cloud Residency (ab 2021), allerdings diesmal mit einem Fokus auf künstlerische Praktiken, die das gesellschaftliche Miteinander unterstützen und sozial relevante Themen im Verbindung mit Netzwerkgedanken (und manchmal -technologien) setzen. Der wiederkehrenden Metapher des Sourdough wird dabei genau gefolgt: einmal im Monat kommt ein Mitglied mit »Hefe im Glas« und gibt es weiter. Die Gäste können es mit nach Hause nehmen, den Inhalt weiter kneten und gehen lassen und so weitere Geschmacksrichtungen lernen und entwickeln. Zwei Workshops haben bereits stattgefunden: ein erster über das Ermöglichen und Einrichten kultureller Infrastrukturen (eine Spezialität des Festival der Regionen) und ein zweiter mit Tina Leisch und der Schweigenden Mehrheit über die Verschränkung von Digitalen Plattformen, Big-Tech-Oligarchie und die Entwicklung von politischen Weltansichten.

Das Projekt ist von Tomiris Dmitrievskikh kuratiert und wird noch unter anderem Mz* Baltazar’s Lab, F.I.S.T., Tamara Imlinger, fiftitu, Time’s up und Maiz hosten – mit einer Abschlussausstellung im Herbst 2026, wo wir gemeinsam 30 Jahre servus.at feiern werden.

 

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Davide Bevilacqua is a media artist and a curator interested in network infrastructures and technological activism, as well as in curatorial and artistic research about the framework conditions in which artistic practice is presented and transmitted to the audience. His current topics of research are the environmental impact of technology and internet sustainability, digital greenwashing practices and platform capitalism. Davide coordinates servus.at cultural program since 2018.

http://www.davidebevilacqua.com/
https://core.servus.at/