Falsche Hoffnung
Es herrscht kein Mangel an Leuten, die die Entwicklungen hin zum Autoritarismus der letzten 15 Jahre in Defiziten begründet sehen – einem Konflikt zwischen »Zivilisation und Barbarei«, einem Einbruch des Außen. Ein Grund für diese unzureichende Analyse liegt nach Vladimir Safatle in einer vermeinten moralischen Überlegenheit der Kommentatoren. Er selbst hält es dagegen für sinnvoller, »mit der Frage zu beginnen, wie viel Barbarei im Inneren der Zivilisation existiert und wie viel Aberglaube untrennbar mit der Aufklärung verbunden ist«. Safatle beschreibt sein eigenes Ziel so: »das Problem der zynischen Rationalität als einen fundamentalen Bestandteil der Theorien über den zeitgenössischen Faschismus zu definieren«. Es geht also um die Erinnerung daran, wie Theorien über Autoritarismus vom Einbruch eines Archaismus geprägt sind. Das birgt den Trost, dass für eine Besserung bereits in dieser Gesellschaft alles parat liegt. Dagegen geht er davon aus, dass autoritäre Umbrüche in »liberal-demokratischen Gesellschaften« ein »normales« Phänomen sind: »Der sogenannte ‚Illiberalismus‘ ist ein konstitutiver Pol des Liberalismus, nicht sein Gegenteil.« Die eigentliche Frage ist daher: »Wo lässt der Liberalismus das Hervortreten seiner ‚Illiberalismen‘ zu?« Und das ist normalerweise in der »Peripherie« sowie gegen »aufständische Gruppen« der Fall. Außerhalb des Normalen – in Momenten der »strukturellen Krise«, wie heute, durchziehen allerdings »Formen des Autoritarismus« die ganze Gesellschaft. Das funktioniert, weil es eine »autoritäre Matrix« in der »Konstitution der Individuen« gibt, behauptet Safatle. Denn »in Wahrheit sind die Individuen so konstituiert, dass sie stets offen für autoritäre Diskurse sind, für Praktiken der Segregation, für die Stabilisierung von Gewaltverhältnissen und Formen der Auslöschung«. In anderen Formulierungen spricht der Autor vom »zynischen Funktionieren« der Subjekte in Zeiten der Krise. Die Krise offenbart so jedoch lediglich, was bereits vorweg da war, als jene Grundlage, die gerne ins Off der demokratischen Gesellschaft projiziert wird.
Gegen die Domestizierung
Das Buch ist darüber hinaus eine Abrechnung mit der »Domestizierung der Kritischen Theorie«, die mit der zweiten Generation der Frankfurter Schule begann: »Denn es ging darum, die Nichtigkeit einer Kritik aufzuzeigen, die auf der Identifizierung performativer Widersprüche basierte, auf dem Glauben an Gespenster kommunikativer Vernunft, die irgendwo in unseren Lebenswelten umhergeistern, wie Jürgen Habermas uns dies vorschlug.« Der Vorwurf lautet, dass »Ichspaltung« und neue »hegemoniale Formen der Bewältigung psychischer Konflikte« ausgeblendet und stattdessen »Einheit der Persönlichkeit« und Verhaltenskohärenz vorausgesetzt würden. Dem entgegen seien Subjekte durchaus dazu fähig, mit zwei sich widersprechenden Ideen im Kopf zu funktionieren: nicht mehr in Form einer »neurotischen Verneinung«, sondern durch »perverse Verleugnung«. Das meint »Verleugnungen, die die Beständigkeit von Spaltungen aufzeigen, die ohne die Notwendigkeit der Verdrängung oder Unterdrückung zustandekommen.« Der Zynismus ist hier eine »reaktive und verzweifelte Weise«, die psychische Krise zu stabilisieren. Kritiker, die das ausblenden, spitzt Safatle zu, befinden sich in »anthropologischem Schlummer«. Safatles Projekt fußt auf dem Scheitern anderer Ansätze, wie der »Kritik als Enthüllung«, einer »Offenlegung, die in der Hoffnung betrieben wurde, dass wir dadurch die Faszinationsdynamiken des falschen Bewusstseins durchbrechen würden«. Diese Form der Kritik bedarf als Ideologiekritik nicht nur der Offenlegung, sondern auch der These eines Subjekts der Transformation. Wo jedoch eine »resignative Hinnahme« der Verhältnisse herrscht, fängt das Bewusstsein an, auf »zynische Weise zu funktionieren«. Die Ohnmächtigen sind doppelt geschlagen, nämlich zu tragen die Ordnung der Dinge und zu fressen den Mist, der ihnen gegeben wird, wobei ohne Einverständnis immer weniger geschluckt werden kann. Biblisch formuliert: Wer davon unbescholten ist, möge den ersten Stein werfen.
Was ist Zynismus
Safatle rekurriert auf einen Essay von Peter Sloterdijk zur Kritik der zynischen Vernunft, der den Zynismus bestimmt als »reflexive Ideologie oder auch ein aufgeklärtes falsches Bewusstsein. Eine Haltung, die einer Zeit entspringt, die die ideologischen Voraus-setzungen des Handelns sehr gut kennt, darin aber wenig Grund sieht, das Verhalten entsprechend neu auszurichten.« Es handelt sich also nicht um ein Problem mangelnder Transparenz, die so oft beschworen wird, wo doch das Offensichtliche diskutiert wird. Der Zynismus ist keine Heuchelei, keine Verschleierung. Weil der Zynismus als ein bestimmtes Verhältnis zur Unwahrheit wahrgenommen wird, kann zynisch mit der Wahrheit gelogen und mit der Lüge die Wahrheit gesagt werden. Heute müsste der Ideologiebegriff von Machtverhältnissen her gedacht werden, die sich auf Grundlage einer Position der Transparenz abspielen. Daran anschließend zitiert Safatle Theodor W. Adorno, der meinte, dass Ideologie keine Hülle mehr sei, sondern »nur noch das drohende Antlitz der Welt«. Witzig ist das nicht, genauso wie der Zyniker – eher ist der ein Clown mit Macht, bei dem das Lachen über ihn im Halse stecken bleibt. Safatle bringt das auf den Punkt: »nichts ist autoritärerer als eine Macht, die über sich selbst lacht. Denn eine Normativität, die auf zynische Weise funktioniert, ist eine solche, die ihre eigene Negation in sich trägt, das Bewusstsein ihrer eigenen Ausweglosigkeit, die Gestalt ihrer eigenen Kritik, ohne dass dieser Widerspruch sie am Funktionieren hinderte.« Ein Zustand der »absoluten Ironisierung« der Verhaltensweisen. Deshalb sei es auch kein Zufall, dass die Figuren »autoritärer« Führung »komödiantisch«, »parodistisch« seien. Die Karikatur der eigenen Person wird bewusst angeeignet und mit ihr gespielt; eine »zynische Komik«, die fungiert als »erfolgreiche Kompromissbildung«. Dadurch können »brutalste Verhaltensformen« aufrechterhalten werden und gleichzeitig ein »möglicher Abstand« dazu behauptet werden. Und das ist leider allzu ansteckend.
Karneval ist überall
Der jetzige Zustand hat eine Geschichte, die Safatle in Form der »Karnevalisierung« des Kapitalismus durch »reflexive Ideologie« charakterisiert: Man hält das Wertgesetz aufrecht, und zugleich wird der Wert des Gesetzes untergraben; wie beim Karneval der Spott über den Wert der Gesetze nicht deren Geltung beendet. Mit dem Wert des Gesetzes meint der Autor die Legitimität der herrschenden Ordnung, deren Brüchigkeit nicht verleugnet wird. Mehr noch: Die »Suspendierung der Ordnung« wurde ins Geschehen als internes Phänomen des Vollzuges integriert. Nicht nur in den USA jetzt – durch Trump. Daher auch kritisiert Safatle mehr als nur die grausigen Clowns an der Macht. Denn parallel dazu veränderte sich in der Subjektivierung etwas, nämlich die Art und Weise, wie Identifizierung verläuft. Anders als früher, sind die Subjekte heute nicht mehr aufgerufen, sich mit »idealtypischen Konstrukten zu identifizieren, die auf festen und bestimmten Identitäten basieren«. Heute werden sie zunehmend aufgefordert, »ironische Identifikationen aufrechtzuerhalten, das heißt Identifikationen, bei denen die Subjekte ständig ihre Distanz zu dem bekunden, was sie darstellen, oder auch zu ihren eigenen Handlungen«. Die Clownerie ist das, zu dem wir alle zusehends verdonnert werden, die Aufrechterhaltung des Identitätsprinzips bei gleichzeitiger Ironisierung der Identitäten, die vor der Kritik nicht verblassen, sondern umgekehrt die Kritik verblassen. Eine Vorlage dafür sieht Safatle im Schema der Kulturindustrie, in der Inhalte im Vorhinein ironisiert werden: »Märchenfiguren, die sich selbst nicht mehr wiedererkennen und ihre eigenen Rollen kritisieren, Werbespots, die sich über Werbesprache lustig machen, Prominente und Politiker, die sich in Fernsehsendungen selbst ironisieren.« Alles Figuren reflexiver Ideologie; und gern gesehen in allen Lagern des Spektakels, in den aufgeklärten Teilen der feinen Gesellschaft ebenso wie bei den Rüpeln des sogenannten »Widerstands«.
Man könnte sagen, die spielen alle so furchtbar schlecht, die meinen das gar nicht wirklich. Das ist aber nicht der Punkt, und den Zyniker stört das wenig – welche Maske sollte ihm auch runtergerissen werden? Gerade die paranoide Hatz nach den Masken, d.h. die allgemeine Beliebtheit von Verschwörungsgeschichten, ist ein Bastard dieser allseitigen Maskerade. Safatle geht es darum zu zeigen, wie ansteckend dieses fatale Spiel ist, das gemeinhin Gesellschaft genannt wird, weil die Kritik dieses Spiels, als falsches Spiel, d.h. samt brüchiger Legitimation, schon ins Spiel eingewoben wurde. Zynismus und das Scheitern der Kritik liest sich wie eine entschiedene Weiterführung der Gedanken zu einem gar nicht harmlosen Menschentypus, den Adorno in den wenig bekannten Notizen zur neuen Anthropologie für die Bedingungen des »Monopol- und Staatskapitalismus« entworfen hat, die die Bedingungen der Psychologie des konsistenten Individuums über den Haufen geworfen hat. Dort schreibt Adorno: »Eigentlich wissen alle genau wie es ist, und an die Stelle der alten Zensur tritt heute der Trotz und die universale Feindschaft.« Ironisch war das wiederum nicht gemeint. Ganz unironisch ist auch Safatles Schrift ein Gegengift gegen die ekelhafte Vertierung des Menschen, der durch die absolute Ironisierung, als »gemeiner Affect«, wie Nietzsche es einst nannte, wie ein »bissiger Hund, der noch das Lachen gelernt hat«, wird. Ein Buch gegen die verwaltete Welt und ebenso gegen ihre liberalen Anhänger, heute geprägt von der »Verwaltung der Unzufrieden-heit«, die »bewirkt, dass der Bruch der sozialen Ordnung selbst zu einer stimulierten und ihrer eigenen Perpetuierung innewohnenden Bewegung wird«. Übrigens ist das, was uns vorkommt, als wäre es eben unter dem Eindruck der Tagesthemen geschrieben worden, von Safatle bereits 2008 im Portugiesischen erschienen und wurde nun von Stephan Gregory ins Deutsche übersetzt, was für die Beobachtungs-gabe des Autors spricht und gegen die Welt, die er aufs Korn nimmt.
Das Buch
Vladimir Safatle: Zynismus und das Scheitern der Kritik erschien 2025 im Tentare Verlag in der Übersetzung von Stephan Gregory.