Die Realität klar benennen

Einige Fragen an Alexander Carstiuc, einen der Betreiber des Bajszel in Berlin über die Situation der ProgrammSchänke.

Share me on:

Versorgerin: Wir haben Sie ursprünglich mit dem Anliegen kontaktiert, ob Sie für die Versorgerin das Anfang 2025 im ça ira-Verlag erschienene (und äußerst empfehlenswerte) Buch »Der Geist des Widerstands« rezensieren könnten, das politische Texte des Philosophen und jüdischen Résistancekämpfers Vladimir Jankélévitch aus 40 Jahren versammelt. Dass diese Besprechung bisher leider nicht erscheinen konnte, liegt an der Situation, in der Sie sich als Mitbetreiber der Programmschänke Bajszel in Berlin Neukölln befinden, das eskalierenden Angriffen von Israelhassern und Hamas-Sympathisanten ausgesetzt ist. Wir haben deshalb vereinbart, diese verhinderte Rezension als Ausgangspunkt zu nehmen, um diese skandalösen Zustände zu thematisieren. Zuallererst möchten wir Sie um eine kurze Charakterisierung des Bajszel bitten.

Alexander Carstiuc: Das Bajszel ist dem Konzept nach eine ProgrammSchänke, das bedeutet, wir haben sowohl einen klassischen Café- und Kneipenbetrieb, als auch ein umfangreiches Veranstal-tungsprogramm, das wiederum bedeutet Lesungen zu politischen, kulturellen und literarischen Themen, Konzerte, Filmvorführungen.

Versorgerin: Wie hat sich die Situation seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 für Sie verändert?

Alexander Carstiuc: Wir haben individuell seit vielen Jahren eine klare Position gegen alle Formen von Antisemitismus und Rassismus, gerade auch den auf Israel bezogenen Antisemitismus, der seit vielen Jahren virulent ist. Zudem ist uns die Kritik des Islamismus wichtig. Schon vor dem 7.10. wurden wir von Antisemiten angegriffen und diffamiert. Wir erlebten Provokationen, Beleidigungen und Diffamierungen. Besonders nach unserer Veranstaltung zur Staatsgründung Israels 1948 sind wir ins Visier geraten. Es ging eigentlich um eine offene Diskussion über die gängigen Mythen zur Staatsgründung, schon im Vorfeld erhielten wir Drohungen und die Veranstaltung sollte von AktivistInnen verhindert werden.

Seitdem wurde versucht, unseren Laden anzuzünden, wir wurden dutzende Male mit roten Dreiecken markiert, mit Pflastersteinen attackiert (zum Glück haben wir von Anfang an Sicherheitsglas einbauen lassen). Es kommt permanent zu Bedrohung und Beleidigungen. Ein weiterer Höhepunkt ereignete sich im Oktober, als wir drei Betreiber defakto Morddrohungen auf Flugblättern mit unseren Gesichtern und Namen erhielten. Seit über einem Jahr stehen wir nunmehr unter Polizeischutz, seitdem im April auch Islamisten gegen uns demonstrierten. 24 Stunden am Tag. Anders wäre der Betrieb des Ladens kaum möglich.

Versorgerin: Jetzt könnte man meinen, dass sich mit Ende der Militäroperation und der Aussicht auf einen Friedensplan die Lage beruhigen sollte. Ist das so? Bzw. inwieweit sind die Angriffe institutionalisiert und gar nicht an äußere Ereignisse gekoppelt?

Alexander Carstiuc: Mich ärgert es immer, wenn von propälästinensischen Gruppen oder Aktionen geredet wird, wenn über die Gewalt gegen uns gesprochen wird. Es geht um Antisemitismus, nicht um den Nahostkonflikt, das was wir als nichtjüdischer Ort erleben, ist für viele Israelis, Juden, Kurden und aber auch für Kritikerinnen des Islam und des Islamismus seit langem Realität. Antisemitismus ist leider eine Leidenschaft, ein Ticket. Das ist entkoppelt von der Realität und Fakten. Ich fürchte, so schnell wird sich die Situation nicht entspannen. Erst vor ein paar Tagen kam es zu einem heftigen Angriff auf den befreundeten Leiter einer arabischen Sprachschule, die sich klar gegen Antisemitismus positioniert.

Versorgerin: Was würden Sie sich an Unterstützung wünschen, sowohl von der Lokalpolitik als auch generell?

Alexander Carstiuc: Wir bekommen viel Solidarität und Unterstützung, es müssen aber noch viel mehr Menschen und Organisationen gegen Antisemitismus aufstehen und eine klar israelsolidarische Position ergreifen, sich vor allem mit den bedrängten Menschen solidarisieren und die Realität klar benennen.

 

ProgrammSchänke Bajszel

Emser Straße 8/9, am Kirsten-Helsig-Platz in  Berlin Neukölln – täglich ab 16:00 geöffnet.
Getränkekarte und das empfehlenswerte Programm auf: https://bajszel.de

Share me on:

Elisa Lapan und Paul Schuberth Ende Oktober im Bajszel bei ihrem Vortrag zur musikalischen Gewalt in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. 
(Foto: Alexander Carstiuc)