Journalistischer Katechismus: Viertes Hauptstück, Teil III von Band I

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Das vierte Hauptstück in Teil III von Band I handelt von dem Schreibstil, der sich für den außerordentlichen Weg eignet. 

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Welcher Schreibstil ist diesem Wege eigen? 

Ein elastischer und zugleich klebriger, der in einer Phänomenologie des journalistischen Erlebnisses auf die Sachen selbst zurückgeht und deren wesentlich verschiedenen Anschauungen durch wesentlich gleiche Floskeln zur Erfüllung bringt.

Was ist die Beschauung?

Die Beschauung ist eine journalistische Gabe, welche es uns gar leicht macht, mit den modernen Rezeptionsmustern Schritt zu halten, welche Dinge lieber schnell erfassen wollen als sie verstehen (In dubio pro celeritate). Während Kirchenlehrer Augustinus von Hippo so lange differenzierte (manche sagen rabulisierte), bis vom Gegenstande nichts mehr übrig war, verfährt die Beschauung umgekehrt: Sie starrt ins Nichts und sieht die vollständige Welterklärung zurückstarren. (Omnium habet, qui nihil habet). Ansonsten wäre es auch sehr hart, weiterzukommen.

Gibt es mehr als eine Art der Beschauung?

Es gibt eine dreifache Beschauung, welche mit den drei verschiedenen Stufen, von denen wir im vorigen Kapitel gehandelt haben, lose verbunden sind.

Welches ist die erste Art der Beschauung?

Diese besteht in einer sanften Ruhe, mit der sich journalistische Entitäten als Fürsprecherinnen mehrheitsfähiger Auffassungen wähnen. Das bedeutet nicht, dass sie hingehen und – gleich Onan – ihren Fleiß unnütz zur Erde fallen lassen, denn Eigennutz und Allgemeinwohl können trefflich harmonieren: Sollte eine Richterin ein unpopuläres Urteil fällen (das zwar in Einklang mit geltendem Recht steht, aber Volkes Zorn und Lynchlust entfacht), muss die Debatte um eine geforderte Gesetzesverschärfung am Köcheln gehalten werden, um so zur Bildung der opinio populi beizutragen, die zwar längst feststeht, aber noch nicht monetarisiert ist. Wenn im Zuge dieser Gerichterstattung der Name der Richterin kolportiert wird, welche daraufhin Todesdrohungen erhält, woraufhin die Richter-vereinigung dazu aufrufen muss, davon abzusehen und auch das zur Meldung wird, läuft das bullshit-perpetuum-mobile wie ein kosmisches Uhrwerk. Natürlich begleitet von der Kautel, wonach die Justiz unabhängig arbeiten können müsse und endgültige Urteile zu akzeptieren seien (ansonsten fiele das Distinktionsmerkmal gegenüber Figuren wie Trump weg, denen die Missachtung der Gewaltenteilung ständig vorgeworfen wird). Aber diskutieren wird man im Interesse des öffentlichen Diskurses ja wohl noch dürfen. Und dieses Interesse ist unzweifelhaft gegeben, wenn das Urteil tausendfach kommentiert wird – meist ohne hinreichende Sachkenntnis, aber das Publikum juristischer Ignoranz zu zeihen, wäre hoffärtig und eitel. Besser, die Justiz plötzlich in einem »Kommunikationsdilemma« zu sehen, weshalb sie ihre »Urteile noch besser erklären« müsse. Wie geschaffen fürs Erklären ist jener sozialpädagogisch-ölschleimige Das-macht-was-mit-einem-Jargon, der in Pressezirkeln kurrent ist und in welchem sich konstatieren ließe, dass es sich um keine Bringschuld der Justiz, sondern eine Holschuld des Publikums handelt, bzw. der Presse, deren Kernkompetenz schließlich im Einordnen besteht.

Welche ist die andere Art der Beschauung?

Wenn die journalistische Profession im Gebrauche ihrer Vermögen gehemmt ist, dann gilt ihr die infallibilitas der Vierten Gewalt als unantastbar und ihre vocatio als ewig – als hätte sie bereits Montesquieu zur zentralen Kontrollinstanz erwählt, obgleich sich Zeitungen damals gerade erst von ihrer Provenienz als Handelsnachrichten emanzipierten. Heute konkurrieren sie zum einen erbittert um Aufmerksamkeit, sind einander aber zugleich durch starken Korpsgeist verbunden, der jede Kritik an Berufsangehörigen als pauschalen Angriff abwehren muss. Sollte der Vorsitzende eines Strafprozesses (wie dem oben angeführten) auf faktisch falsche Berichterstattung hinweisen, in der etwa ein schwerwiegender Straftatbestand in den Raum gestellt wird, der nicht durch die Aussage der Betroffenen gestützt wird, eilen Qualitätsmedien dem (primär adressierten) Boulevard zur Seite und monieren »Medienschelte«, oder dass »den Medien der Prozess gemacht« würde. Selbst Mitglieder von Terrorbanden finden Platz unter den Fittichen medialer Solidarität, so sie zusätzlich als Korrespondenten für Medienunternehmen reportieren und deshalb zu »Medienschaffenden« erklärt werden (wohl zu unterscheiden von den »Medienraffenden«).

Welches ist die dritte Art der Beschauung?

Wenn die journalistische Seele, nachdem sie die Leichtigkeit, von ihren Vermögen Gebrauch zu machen, wieder bekommen hat – und zwar weit vollkommener und erhabener –, vom Informationsauftrag klare und unterscheidbare Erleuchtungen und Bewegungen empfängt. Dies führt sie zu einfühlsamen Reportagen über »Hilfsflottillen«, die zwar kaum Hilfsgüter an Bord haben, dafür aber eine Seeblockade durchbrechen sollen, die aus gutem Grund zur Unterbindung von Waffenlieferungen eingerichtet wurde. Was man in diesen Reportagen erfährt, ist zwar wenig über die Finanzierung des Unterfangens und mögliche Verbindungen zu Terrororganisationen, dafür aber, dass eine BASF-Millionenerbin aus Skrupel ob ihrer Position als »weiße privilegierte Person mit Reichweite« auf eine Teilnahme verzichtet (und nicht etwa, weil es für jemanden mit all dem Sweet-sweet-Zyklon-B-money geschmacklos wäre, nach Invasorenart ins Land derer einzureiten, die die Machenschaften ihrer Familie überlebt haben); sowie wie alleingelassen von ihren Regierungen und gefährdet ob ihres mutigen humanitären Einsatzes sich die Aktivisten fühlen, sodass »eine Journalistin oder ein Journalist, eine bekannte Person« zur Seite gestellt werden muss, »um die Sicherheit des ganzen Bootes zu verstärken«. Da diese beigestellten Medienmenschen nicht in reguläre militärische Strukturen eingebunden sind, kann auch niemand den Vorwurf des embedded journalism machen.

Welche Unterweisung haben die journalistischen Seelen nöthig, welche die Gabe eines solchen Schreibstils haben?

Nur noch wenig, denn sie selbst begreifen KI als die Chance, Journalismus neu zu erfinden – auch wenn Untersuchungen zeigen, dass die Hälfte aller Zusammenfassungen durch KI fehlerhaft ist, bedeutet das nicht, dass man sie nicht als Sparringspartner einbeziehen kann. Wer wünscht sich im Training nicht ein Gegenüber, dessen devotes Geschleime Fremdscham hervorruft und statt Konter zu geben, alles für eine Super Idee! hält und allerlei Larifari produziert. Der beste Ansatz, einem übermächtigen Gegner zu begegnen, besteht in der Identifikation mit dem Aggressor, bis dieser zum cobot wird. Warum die KI die Interviews nur transkribieren und nicht gleich führen lassen? Am besten mit sich selbst? Bis es so weit ist, arbeitet sie fürs Erste zu – entweder als Westentaschen-Big-Sister, die Nutzungsverhalten analysiert sowie personalisierte Startseiten und Newsletter erstellt (wodurch Medienunternehmen mit ihrer best practice genau jene Echokammern erzeugen, die sie ansonsten beklagen) oder als Assistenz, die Parlamentsdebatten oder Fernsehdebatten verfolgt und die besten Stellen gleich schlagzeilengerecht aufbereitet. Sollte all dies bereits gelebte Praxis sein und KI auf die Social-Media-Accounts wahlkämpfender Personen angesetzt werden, würde das all die tendenziös enthusiastischen Porträts des designierten New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani erklären.

Bonus Sentenz I: In den Verlaufskurven des DWDS-Zeitungskorpus zwischen 2023 und 2025 veränderte sich die Frequenz (Vorkommen eines Lemma pro Million Wörtern) bei »Gaza« von 21,3 auf 33,6 – bei »Sudan« hingegen von 7,1 auf 3,9.

Bonus-Sentenz II: Journalismus ist 1% Information und
99% Fehlfunktion.

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