Feminismus als Querschnittsthema etablieren

Ein Interview mit Lea Susemichel und Brigitte Theißl vom Magazin an.schläge über feministischen Journalismus, seine Aufgaben und Themen.

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Versorgerin: Gerade jetzt im November ist Ausgabe VI/2025 der an.schläge erschienen – unter dem Titel »Macht, Maschine, Misogynie« findet sich ein Schwerpunkt zu KI und Sexismus. Ist das ein Thema, das aus feministischer Sicht in der Luft lag und viele Autorinnen beschäftigt oder ging die Initiative von euch als Redaktion aus? Wie sehr orientiert ihr euch bei der Hefterstellung an aktuellen feministischen Debatten und wie wählt ihr die Aspekte aus, die euch interessieren?

Lea Susemichel: Die Themenschwerpunkte legen wir immer als Redaktion fest. Manchmal schon einige Monate vorher, manche aufgrund aktueller politischer Ereignisse auch kurzfristig. Ganz grundsätzlich gilt für uns: Jedes Thema ist immer auch ein feministisches Thema. Feminismus ist kein abgrenzbarer Inhalt, sondern eine Perspektive, die immer berücksichtigt werden sollte, ganz egal, worum es geht – das passiert bei anderen Medien allerdings weiterhin nur sehr selten. Anders als andere Medien greifen wir wichtige feministische Themen aber auch unabhängig von aktuellen Anlässen aus, berichten also beispielsweise über männliche Gewalt nicht nur nach einem Femizid. Das ist die Kernaufgabe eines feministischen Mediums: Feminismus als Querschnittsthema zu etablieren und feministische Themen kontinuierlich zu bearbeiten, die anderswo nur rund um den 8. März vorkommen. Konkret zu unserem Schwerpunkt »Macht, Maschine, Misogynie«: Ja, das Thema lag definitiv in der Luft, inzwischen gibt es ja jeden Tag neue, höchst beunruhigende Nachrichten, die zeigen, in welch atemberaubenden Tempo die Big-Tech-Broligarchen Demokratie und Datenschutz aushöhlen. In unserer aktuellen Ausgabe nehmen wir diese vermeintliche KI-Revolution daher sehr kritisch unter die Lupe und analysieren die faschistoiden Ideologien dahinter genauso wie misogyne Algorithmen. Aber wir fragen auch, wie technologische Entwicklung stattdessen gemeinnützig und gerecht gestaltet werden kann, dazu war der sogenannte Cyberfeminismus ja einst angetreten, der das Netz anfangs als feministischen Möglichkeitsraum gefeiert hat. Und darum gehts ja bei feministischem Journalismus in der Tradition des »Solution Journalism« auch immer: Utopien zu entwerfen, Alternativen aufzu-zeigen. Im konkreten Fall ist es die Frage: Wie kommen wir zu Technologiegerechtigkeit?

Versorgerin: Der Gedanke, dass die gebrochenen gesellschaftlichen/technologischen Versprechen nicht die Befähigung zu utopischem Denken zerstören sollen, ist ein gutes Stichwort: Wie geht ihr damit um, dass es bei manchen feministischen Kämpfen scheint, als würden die Ziele kaum näher kommen, bzw. dass die erreichten Fortschritte sehr fragil sind, sodass sie durch erstarkende antifeministische Bewegungen wieder zunichtegemacht werden können? Oder täuscht der Eindruck, weil sich in den großen Themen (wie Arbeitskampf oder Reproduktionspolitik, die ihr in den letzten Ausgaben hattet) der Fokus mit jeder Generation verändert?

Brigitte Theißl: Hart erkämpfte feministische Fortschritte sind immer fragil. Erst kürzlich haben uns Polen und die USA vor Augen geführt, dass ein legaler oder zumindest straffreier Schwangerschaftsabbruch keineswegs in Stein gemeißelt ist und immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss. In den vergangenen Jahrzehnten wurde in Österreich – und vielen Ländern weltweit – in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit enorm viel erreicht. Bis 1975 noch mussten Frauen in Österreich die Zustimmung von ihrem Ehemann einholen, wenn sie erwerbstätig sein wollten. Bis 1989 war Vergewaltigung in der Ehe überhaupt nicht strafbar. Widerstand gegen feministische Fortschritte gab es immer – der Backlash, den wir gegenwärtig angesichts des internationalen Rechtsrucks erleben, ist aber wohl ein nie dagewesener. Auch in der Redaktion belastet es uns, dass wir unseren Leser*innen kaum »good news« liefern können. Bloßer Eskapismus ist aber für feministischen Journalismus niemals eine Option. Wenn ganz fundamentale Selbstbestimmungsrechte wieder infrage gestellt werden, wenn in den USA einflussreiche christlich-fundamentalistische Rechtsextreme fordern, das Frauenwahlrecht abzuschaffen oder wenn queere und zugewanderte Menschen auch in Europa für eine rechte Sündenbockpolitik herhalten müssen, braucht es internationale feministische Solidarität und einen Journalismus, der sich klar für Demokratie und Menschenrechte positioniert.

Versorgerin: Ohne jetzt eine medientheoretische Debatte (Stichwort Neutralität vs. Gegenöffentlichkeit) aufmachen zu wollen, möchten wir doch zu eurem Verständnis von feministischem Journalismus nachfragen: Wie würdet ihr dessen Position zwischen herkömmlichem Journalismus und Aktivismus verorten? Einerseits kann er sich nicht bequem darauf zurückziehen, keine Partei zu ergreifen, kein gesellschaftpolitisches Anliegen zu vertreten, ist zum anderen aber dennoch in einer Beobachterinnenrolle.

Lea Susemichel: Feministischer Journalismus sieht sich schon lange dem Vorwurf ausgesetzt, parteiisch zu sein und damit gegen das Ideal journalistischer Objektivität zu verstoßen, also etwas zu machen, das abfällig als »Zeigefingerjournalismus« oder gar »Gesinnungsjournalismus« kritisiert wird. Dieser Vorwurf beruht jedoch auf einem schwerwiegenden Missverständnis: Journalist*innen dürfen parteiisch sein, wenn es um Feminismus, um Menschenrechte und Demokratie geht. Ich würde sogar sagen: Sie müssen es sein, wenn sie guten Journalismus machen wollen! Feministische Medienarbeit leistet hier Pionierarbeit, da sie immer schon zeigt, wie sich Haltungsjournalismus und journalistische Professionalität verbinden lassen. In einer Zeit, in der Medien massiv unter Druck stehen, kann sie Vorbild für ein neues Berufsethos sein: Medien müssen reflektieren, welchen Werten sie verpflichtet sind, und welche Themen sie – über das Tagesgeschehen hinaus – kontinuierlich behandeln wollen, weil es demokratiepolitisch wichtige Zukunftsthemen sind.
Feministische Medienkritik fordert diese Selbstreflexion journalistischer Praxis in der Tradition der feministischen Wissenschaftskritik, die ja auch schon den Objektivitätsanspruch der Wissenschaften als nicht zuletzt androzentrisches Phantasma entlarvt hat. Bei dieser Kritik muss allerdings ein schwieriger Spagat gemeistert werden, um sich klar von rechtspopulistischer Medienhetze abzugrenzen. Diese greift ja ebenfalls den Objektivitätsanspruch an – aber um Verschwörungserzählungen zu legitimieren und ihre ‚alternativen Fakten’ als gleichberechtigte Meinung zu verkaufen. Inzwischen sind es paradoxerweise häufig rechtsextreme, maskulinistische, Gruppen, die sich als kritische Rebellen und Freigeister inszenieren und die von sich selbst behaupten, dem vermeintlich gleichgeschalteten Medienmainstream entgegenzutreten. Deshalb: Feministische Medienkritik, die freilich auch Perspektivenvielfalt einfordert, meint nicht einfach: »Speak your own truth« – natürlich müssen sich alle an journalistische Grundregeln und die Sorgfaltspflicht halten.

Versorgerin: Unter Druck stehen viele Medien auch finanziell (nicht zuletzt durch das Absaugen von Anzeigenbudgets und auch Inhalten durch überwachungskapitalistische Big-Tech-Plattformen); besonders bedroht sind kritische Magazine, die ohnehin am Rande der Finanzierbarkeit operieren und von denen in den letzten Jahren einige ihre Printversionen opfern mussten oder gleich ganz die Arbeit einstellen. Wie euren Aussendungen und der Website zu entnehmen ist, stellen auch für euch Abonnements die sicherste Einnahmequelle dar. Wie gravierend seht ihr die Auswirkungen auf die an.schläge durch die technologische Großwetterlage und wie hat sich die Medienlandschaft dezidiert feministischer Magazine in den letzten Jahren eurer Ansicht nach verändert?

Brigitte Theißl: Ich glaube nur wenige wissen, wie groß die Vielfalt unabhängiger feministischer Medien in Österreich einmal war – und das in einem so kleinen Land. Nach einem Höhepunkt rund um die Jahrtausendwende sind viele Projekte wieder verschwunden, inzwischen gibt es auch international kaum noch feministische Medien, selbst so bekannte Marken wie das US-amerikanische »Bitch Magazin« wurden eingestellt. Wir gehen bei an.schläge davon aus, dass wir gegenwärtig das weltweit am häufigsten erscheinende feministische Magazin sind. In den Nullerjahren und den frühen Zehnerjahren haben feministische Blogs und ähnliche Online-Projekte diese Lücke noch gefüllt. Ich habe selbst einen Blog betrieben und unglaublich viel gelernt von anderen Blogger*innen und Aktivist*innen, es war eine wirklich inspirierende Community. Diese emanzipatorische Kraft hat Big-Tech inzwischen weitgehend zerstört. Ich finde zwar auf TikTok und Instagram immer noch unglaublich kluge und pointierte politische Analysen und beißend-satirische feministische Memes, die über deprimierende Schlagzeilen hinwegtrösten – aber das alles eingebettet in einen Algorithmus, der polarisierende Inhalte pusht und mich stundenlang an mein Smartphone binden soll, dazwischen ungefilterter Frauenhass und Werbung für Anti-Aging-Produkte. Wir können als an.schläge weiterhin bestehen, weil wir uns mit einer großartigen Community im Rücken laufend weiterentwickeln und von der Stadt Wien gefördert werden. Dennoch ist schwer abzusehen, wie lange es die an.schläge noch geben wird. Klar ist, dass Medienpolitik nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa zentrale Entwicklungen verschlafen hat. Google, Meta und Co greifen die Werbeetats ab und treiben zugleich Hass, Desinformation und Radikalisierung voran. Ohne staatlich finanzierte, gemeinnützige Qualitätsmedien als zentrale Infrastruktur ist eine demokratische Zukunft gar nicht denkbar. Mein größter, dringendster Wunsch diesbezüglich ist eine demokratische Rückeroberung des Internets. Es fühlt sich so an, als seien wir Zuckerberg, Musk und Co völlig ausgeliefert, aber keine politische Entwicklung ist unausweichlich, Technologie wird von Menschen gestaltet. In den vergangenen Jahren hat die Nutzungszeit auf den großen Plattformen deutlich abgenommen, die Zahl der professionellen ‚Content Creator‘ ist zwar explodiert, private Nutzer*innen posten jedoch immer weniger. Hier könnte sich eine Chance für Veränderung auftun. Ich hoffe sehr, dass feministische Bewegungen sich verstärkt diesem Thema widmen.

Versorgerin: Dass Technologie (bzw. Gesellschaft insgesamt) letztlich von Menschen gestaltet wird, gerät bei abstrakterer Betrachtung oft in den Hintergrund – Strukturen sind zweifellos bestimmend und oft übermächtig; wer sich von ihnen einschüchtern lässt, tut sich aber auch schwerer, sie zu verändern. Wird – abschließend gefragt – diese Erinnerung an die Handlungsmacht konkreter Personen auch bewusst über die Cover der an.schläge transportiert, bei der überwiegend Porträtaufnahmen verwendet werden? Bzw. allgemeiner: Welche Überlegungen fließen in die außertextliche Heftgestaltung mit ein?

Lea Susemichel: Ja, es sehr wichtig, sich immer wieder klarzumachen, dass hinter politischen Entwicklungen menschliche Entscheidungen stehen – und dass deshalb alles auch ganz anders sein könnte, Stichwort: There is an alternative. Das bedeutet nicht, die Verantwortung zu individualisieren, wenn es eigentlich tiefgreifende, strukturelle Veränderungen bräuchte, also z.B. Menschen bloß bessere Konsumentscheidungen abzuverlangen, während die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt. Aber einzelne Menschen zur Verantwortung zu ziehen, die aus Opportunismus, Feigheit oder wegen ihres persönlichen Vorteils autoritäre Politik mit ermöglichen, das müssen wir unbedingt. Zur Bildpolitik der an.schläge: Natürlich machen wir uns als feministisches Magazin viele Gedanken darüber, wen wir auf welche Art ins Bild setzen, welche Körper wir wie zeigen, welche Inhalte wir über unsere Bildstrecke vermitteln und wen wir mit einem großen Porträt besonders featuren. Aber es geht daneben auch um grafische Elemente und Typografie. Schriftgestaltung ist weiterhin ein männlich dominiertes Feld, uns ist es deshalb besonders wichtig, dass unsere Fonts alle von Type-Designerinnen entworfen wurden, die an.schläge-Schrift wurde sogar extra für uns angefertigt.

 

  • Die an.schläge berichten seit 1983 aus feministischer Perspektive über die Themen der Gegenwart, erscheinen sieben Mal pro Jahr und sind in Wien beheimatet.
  • Mehr Informationen, Heftarchiv und Abo (wichtig fürs Weiterbestehen) unter https://anschlaege.at/
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Brigitte Theißl ist leitende Redakteurin bei an.schläge – das feministische Magazin. Sie hat 2003 mit großer Begeisterung ein MySpace-Profil eingerichtet und sieht viele Parallelen zwischen heutigen Social-Media-Plattformen und dem Privatfernsehen der 90er-Jahre.

Lea Susemichel ist Journalistin, Autorin und leitende Redakteurin des feministischen Magazins an.schläge. Sie hat Philosophie und Gender Studies studiert und arbeitet als Autorin, Journalistin, Lehrbeauftragte und Vortragende u.a. zu den Themen Identitätspolitik, Solidarität, feministische Theorie & Bewegung, sowie emanzipatorische Medienpolitik.

(Bild: an.schläge)